Die Bürgerinitiative Saaletal unterstützt den Antrag des NABU Halle/Saalkreis beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 13. Oktober 2023. In dem Antrag fordert der NABU den sofortigen Stopp der Bauarbeiten an der Autobahn A 143 nordwestlich von Halle sowie ein Verbot der Autobahn-Inbetriebnahme.
Grundlage dieses Antrags ist die FFH (Fauna-Flora-Habitat)-Richtlinie der Europäischen Union, in der ein Verschlechterungsverbot für besonders geschützte Lebensräume innerhalb von FFH-Gebieten festgelegt ist. Aufgrund der unvermeidbaren Schädigung solcher FFH-Lebensräume durch die Autobahn sind Bau und Betrieb der A 143 nach europäischem Naturschutzrecht nicht zulässig.
Der NABU fordert daher mit Fug und Recht den Stopp der Bauarbeiten an der A 143 und ein Verbot der Inbetriebnahme.
Für eventuelle Fragen steht Ihnen Dr. Conrad Kunze, Vorsitzender der Bürgerinitiative Saaletal, unter info@bi-saaletal.de als Ansprechpartner zur Verfügung.
Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes für die Zulassung des Bauplans der Autobahn aus dem Jahr 2019 ficht der NABU Halle/Saalkreis, vertreten durch den Umweltrechtsanwalt Karsten Sommer an. Die dafür zunächst zuständige Behörde ist das Landesverwaltungsamt. Das Amt muss dem NABU nun antworten, ob es einen Baustopp verhängt oder nicht. Wenn kein Baustopp verhängt wird, kann der NABU in nächster Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage erheben.
Der Betrieb der Autobahn A 143 würde besonders geschützte FFH-Lebensräume innerhalb des FFH-Gebietes „Porphyrkuppenlandschaft nordwestlich Halle“ gravierend schädigen. Es handelt sich um besonders empfindliche FFH-Lebensraumtypen, die nur auf ausgesprochen nährstoffarmen Standorten überleben können. Sie sind daher an Böden mit einem sehr niedrigen Stickstoffgehalt angewiesen. Autoverkehr stößt durch die Verbrennung von Benzin Stickstoff aus. Eine Autobahn düngt also die Flächen in der Umgebung, während sie zugleich mit Schwermetallen und Plastikpartikeln belastet werden.
Dieser Düngungs-Effekt wurde zwar während der Bauplanung der A 143 im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsuntersuchung im Prinzip untersucht und eingestanden. In der Baugenehmigung sind die daraus folgenden Schäden an FFH-Lebensräumen mit Hilfe einer Ausnahmegenehmigung zugelassen worden, die nachfolgend auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde.
Aus dieser FFH-Verträglichkeitsprüfung ist aber ein Teil des FFH-Gebiets „Porphyrkuppen-landschaft nordwestlich Halle“ ausgeklammert worden, nämlich die FFH-Erweiterungsflächen in der Nähe von Gimritz/Görbitz, die erst später (2016) in das FFH-Gebiet integriert worden sind. Daher erstreckt sich die o.g. Ausnahmegenehmigung auch nicht auf diese Teilflächen.
Die Autobahn 143 verstößt somit gegen europäisches FFH-Umweltrecht und kann nicht in Betrieb gehen.
ausführlicher:
In dem Teil des FFH-Gebiets, für den keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, befinden sich mehrere stickstoffempfindliche FFH-Lebensräume in unmittelbarer Nähe zur Trasse:
- LRT 6210 Naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien (darunter auch ein prioritärer Bestand)
- LRT *6240 Subpannonische Steppen-Trockenrasen (prioritär)
- LRT 8230 Silikatfelsen mit Pioniervegetation
Das europäische Umweltrecht (FFH-Richtlinie) enthält ein Verschlechterungsverbot für solche FFH-Lebensräume innerhalb von FFH-Gebieten. Die Autobahn darf also nur gebaut werden, wenn sie die drei o.g. FFH-Lebensräume nicht schädigt.
Der Bauplan und das letzte Gerichtsurteil von 2019 erklärt aber nicht, wie die erhebliche Schädigung des FFH-Gebietes durch hohe Stickstoffeinträge verhindert würde.
Der NABU hat nun das Landesverwaltungsamt auf den drohenden Rechtsbruch hingewiesen. Das Amt ist nun verpflichtet dies zu prüfen. Die Klageschrift des NABU ist 25 Seiten lang und das Ergebnis mehrerer Jahre Arbeit vieler Expertinnen und Experten auf dem Gebiet. Das Landesverwaltungsamt ist für die Rücknahme und den Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses zuständig und muss nun entscheiden, ob dies passiert.
Lebensraum 6240
Am gravierendsten ist die drohende Beschädigung des prioritären Lebensraumtyps 6240 in der Nähe der Trasse. Dieser würden durch zusätzliche Stickstoffeinträge von über 0,3 Kilogramm je Hektar belastet werden.
In der Klageschrift heißt es:
“Der Grundsatz einer zeitlich der Zulassung vorangehenden FFH-Verträglichkeitsprüfung machen zur vorübergehenden Sicherung den Antrag auf Untersagung von Weiterbau und Inbetriebnahme der A 143 – und hilfsweise zu diesem den vierten Antrag auf Untersagung der Inbetriebnahme erforderlich.”
Das rührt daher, dass der Planfeststellungsbeschluss (PFB) gar nicht auf die Schädigung von FFH-Lebensräumen in den o.g. Erweiterungsflächen des FFH-Gebietes eingeht. Da er nicht darauf eingeht, muss er also zunächst ausgesetzt werden.
Artikel 6 Absatz 2 der FFH-Richtlinie statuiert eine Dauerpflicht. Das heißt, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Schädigung des Naturschutzgebietes festgestellt wird, muss der PFB ausgesetzt werden. Der PFB kann erst wieder in Kraft treten, das heißt, die Autobahn kann erst weiter gebaut werden, wenn sichergestellt ist, dass der Schaden durch Stickstoff verhindert wird. Das muss geprüft werden und zusätzliche Maßnahmen sind zu ergreifen, falls sie überhaupt möglich sind.
Das Gebiet 6240 (A23.4.4) ist als subpannonischer Steppen-Trockenrasen prioritär geschützt. Es liegt innerhalb der Stickstoffdepositionsgrenze der Autobahn. Der PFB des Landesverwaltungsamtes meint selbst, dass das Gebiet 6240 innerhalb der erhöhten Stickstoffbelastungszone liegt (S. 427f.).
Belastungsgrenzen
Die kritische Belastung des FFH-LRT *6240 wurde im Bauplan falsch berechnet. Der FFH-Lebensraum verträgt nicht 15 kg, sondern nur 8,1 kg Stickstoff je Hektar. (Klagebegründung, 15.2.2019 Seite 40 ff). Jedoch — selbst wenn die zu hohen 15 kg je Hektar angenommen werden, folgt auch daraus ein Betriebsverbot der Autobahn. Denn selbst 15 kg würden überschritten, denn die Autobahn würde eine so genannte Hintergrundbelastung von 12 kg Stickstoff verursachen, und weiterer Stickstoff kommt heute bereits hinzu aus einer nahegelegenen Ferkelaufzucht.
Die Planfeststellungsbehörde selbst hat am 25. März 2019 eingestanden, dass die FFH-Lebensräume innerhalb der Erweiterungsflächen “nicht Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung waren”. Eine Verträglichkeitsprüfung ist jedoch zwingend notwendig. Diese FFH-Lebensräume sind Teil der FFH-Datenbank des Landes Sachsen-Anhalt und gehören zum FFH-Gebiet (Seite 21ff. der Klageschrift gegen den Bauplan).
Das Bundesverwaltungsgericht hat Unrecht
Der FFH-Lebensraum *6240 ist von einer “Prüfungsfreistellung” nicht erfasst, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil am 12. Juni 2019 behauptet.
Der PFB meint, dass FFH-Lebensraum *6240 von der Autobahn nicht beeinträchtigt würde. Andernfalls hätte im Zuge der Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ohnehin die Kommission der Europäischen Union beteiligt werden müssen.
Aus der aktuellen Klageschrift:
“Den vom Bundesverwaltungsgericht für seine Rechtsauffassung angenommenen Zusammenhang zwischen der Funktion der Fläche zur Kohärenzsicherung und dem Wegfall der Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung gibt es für den in Rede stehenden LRT *6240 nicht.”
Das Landesverwaltungsamt ist verantwortlich sowohl für den Naturschutz in Sachsen-Anhalt als auch für die Baugenehmigung von Autobahnen. Es ist daher nun in der Verantwortung, die Klage des NABU zu prüfen, und die fälschlich erlassene Genehmigung für den Bau aufzuheben oder auszusetzen, bis alle Fragen geklärt sind.