Die Auseinandersetzung um den Bau der A49 durch Ost- und Mittelhessen hat nicht nur in diesem Bundesland bewirkt, daß der Dannenröder Forst („Danni“) inzwischen eine Art Metapher geworden ist: für die Notwendigkeit einer Verkehrswende, gegen überholte Großprojekte, die trotz aller Gegenargumente rabiat gegen zivilgesellschaftliche Kräfte und Zweifel durchgesetzt werden, leider offenbar auch für ein stellenweise zweifelhaftes Rechtsverständnis in staatlicher Administration, Justiz und Polizei. Zudem bedeutet der Bau einen Affront gegen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit.
Eine Autobahn durch ein umweltschutzrechtlich gesichertes Fauna-Flora-Habitat zu bauen wirkt in Zeiten der bereits beginnenden Klimakatastrophe wie völlig „aus der Zeit gefallen“.
Ein verkehrspolitisch höchst fragwürdiges Autobahnteilstück mit zwei Brücken durch ein Trinkwasserschutzgebiet zu führen, in dem ansonsten noch nicht einmal eine Kuh weiden darf – das wirkt nicht nur obszön, es gefährdet die Wasserversorgung der gesamten Region einschließlich des Rhein-Main-Gebiets mit etwa einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohnern.
Die Klimaentwicklung der globalen Atmosphäre, die nun einmal keine Grenzen kennt, zwingt uns zu einem Umdenken der bisher unhinterfragt geltenden Mobilitäts‑, Energie‑, Nahrungsmittel- und Baukonzepte. Unser gesamtes Leben wird sich tiefgreifend wandeln müssen, wenn wir chaotische Zusammenbrüche unserer Lebensgrundlagen noch verhindern wollen.
Die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland hat das mehr als deutlich vor aller Augen geführt. Da beziehen wir die Idee eines vermeintlichen Grundrechts auf privaten KFZ-Verkehr ausdrücklich ein. Das 40 Jahre alte Baukonzept der A49 ist hochgradig klimagefährdend und umweltzerstörend und müsste nach dem kürzlich gesprochenen Urteil in Karlsruhe sofort gestoppt werden. Denn trotz aller bisher formal und juristisch geregelten Beschlüsse zum Bau, ist unbedingt zu erwähnen, dass diese auf fehlerhaften Angaben zum Wasserschutz auf falschen Informationen betrügerisch abgeschlossen wurden.
Bei der Räumung des Danni von Baumhausdörfern mit Aktivistinnen und Aktivisten, die ein Jahr lang in Frieden und anerkannter Verständigungsbereitschaft mit der Bevölkerung des Vogelsbergkreises zusammengelebt hat, kam es zu mehreren schweren Verletzungen junger Menschen, die den Wald mit ihren Körpern und gewaltfrei zu verteidigen beschlossen hatten. Täter waren in diesen Fällen Polizeibeamte. Über die Ermittlungen gegen sie ist wenig bis nichts bekannt.
Im krassen Gegensatz dazu steht das drakonische Urteil eines Richters am Amtsgericht Alsfeld. Er sprach trotz offenbar vorliegender zahlreicher Gegenbeweise die „Unbekannte Weibliche Person Eins” / Ella schwerer Vergehen gegen die Polizei schuldig. Sie befindet sich nunmehr seit Ende November ununterbrochen in U‑Haft der JVA Frankfurt-Preungesheim III. Sie darf eine einzige Person pro Monat (!) als Besuch empfangen und ist ansonsten weitgehend isoliert. Wird sie von einer Journalistin interviewt, bedeutet das nach Verfügung des genehmigungsberechtigten Richters, dass sie damit in diesem Monat keinen weiteren Besuch empfangen darf. Diese Art Umgang mit einer jungen Frau, die, wie ihre Bekannten berichten, aus innerer Haltung und Überzeugung gewaltfrei agiert, ist eine Schande für die Justiz.
Derselbe Richter, der Ella verurteilt hat und Besuche bei ihr genehmigt, hat wenige Tage nach seinem Urteil gegen sie einen Polizeibeamten auf Bewährung verurteilt, der in Chatgruppen Nazi-Propaganda postete.
Ella hat beschlossen, den Behörden bis heute ihre Identität nicht preiszugeben. Den Grund dafür hat sie selber benannt: sie lehnt das Angebot ihrer Freiheit gegen die Aufgabe ihrer Anonymität ab, weil sie unter den Bedingungen der U‑Haft, also im nach ihrer Position fundamental abzulehnenden Gefängnissystems, die notwendige Verbindung mit ihrem aktvistischen Kollektiv wählt, zu dessen Regeln der Schutz der Identität der Beteiligten gehört. Im Prozess in Alsfeld saß sie dann drei vollvermummten SEK-Beamten gegenüber, die sie im November 2020 angeblich lebensgefährlich angegriffen haben soll, weil ihre Bewegungen bei der Räumung von einem Seil in 15 m Höhe dahingehend gedeutet wurden. Die drei Beamten konnten auf ihren Antrag hin anonym aussagen. Ihre Aussagen widersprachen nicht nur einander, sondern auch der Faktenlage und vorhandenen Videoaufnahmen der Festnahmeszene. Was weder vor Gericht noch sonst angemessen diskutiert wurde und wird sind die dokumentierten Umstände, in denen Ella während ihrer Festnahme selber in Lebensgefahr gebracht wurde – durch polizeiliches Handeln.
Nun wartet Ella auf die Entscheidung über eine Berufung in ihrem Fall. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie dann freigesprochen wird. Ihr Verteidiger versichert, sie würde sich einer Überprüfung nicht durch Flucht entziehen. Es gibt das Angebot einer Unterkunft an sie. Sie wäre damit für die Behörden jederzeit erreichbar.
Wir sind Menschen wie Ella zu tiefem Dank verpflichtet. Die gerade über so viele Menschen nun auch unseres Landes hereingebrochenen ersten Anfänge der Klimakatastrophe führen uns vor Augen, was auf uns auch in unserem Teil der Welt an Todesopfern, Verletzten, an Zerstörungen zukommt, wenn wir es nicht in letzter Stunde noch schaffen, unsere Lebensweise den ökologischen Notwendigkeiten anzupassen, mit denen wir nun einmal nicht verhandeln können.
Dass es Menschen wie Ella und viele andere wie sie gibt, ist unersetzlich. Wir brauchen Hunderte, Tausende, ja Millionen Menschen wie sie, um wenigstens die bereits völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutz-Ziele zu erreichen. Wenn es nicht gelingt, das in den kommenden beiden Jahrzehnten zu sichern, stellen wir durch Gewährenlassen die Weichen für eine Welt, in der gegen Ende unseres Jahrhunderts die Grundlagen für die uns bisher bekannten Formen menschlicher Zivilisation irreversibel zerstört sein könnten. Wie wird man dann über „Ella“ und ihren Richter urteilen?
In einem Interview mit der “jungen Welt” vom 7.7. 2021 wurde Ella zu Ihrer Wahrnehmung des Prozesses und des Richters befragt:
„Was würden Sie dem Richter sagen, wenn Sie ihm von Angesicht zu Angesicht Ihre Meinung kundtun könnten?” Ihre Antwort: “Ich würde ihn bitten, in der Wirklichkeit anzukommen. Wir haben nur diesen einen schönen Planeten und den müssen wir beschützen.”
Wir schweigen dazu nicht.
Wir fordern die zuständigen Stellen in Behörden, Ministerien, Polizei und Justiz auf, alles dafür zu tun, daß Ella in Freiheit die Überprüfung des gegen sie ergangenen Urteils abwarten kann.
Wir fordern ihre Freilassung und den Abbruch der Bauarbeiten an der A49. Wenn Sie / wenn Du diesen Offenen Brief unterstützen möchtest, schicken Sie / schicke bitte eine kurze Nachricht an free.ella@gmx.de und verbreiten Sie / verbreite den Offenen Brief auch selber weiter. Danke!