Zum Inhalt springen

Ver­kehrs­stu­die 2013

23. Janu­ar 2014

Jah­re­lang, sogar jahr­zehn­te­lang schwelt der Streit um die geplan­te Saa­le­tal­au­to­bahn A 143 („West­um­fah­rung Hal­le“). Legen­den ran­ken sich um die erhoff­te Heils­brin­ge­rin für die Stadt Hal­le. Allen vor­an die Ex-Bür­ger­meis­te­rin­nen Ingrid Häus­ler und Dag­mar Sza­ba­do­sz wur­den nicht müde, die künf­ti­ge A 143 als Lösung für die städ­ti­schen Ver­kehrs­pro­ble­me anzu­prei­sen. Ein wis­sen­schaft­li­ches Gut­ach­ten zeigt nun auf, dass der Bedarf für eine neue Tras­se gar nicht existiert.

Dazu ein Inter­view mit Diet­mar Weih­rich auf lokal​.radio​co​rax​.de

https://​mp3​.radio​co​rax​.de/​m​p​3​/​0​0​3​_​H​a​l​l​e​/​2​0​1​4​_​0​2​_​0​3​_​A​1​4​3​_​m​i​t​_​D​i​e​t​m​a​r​_​W​e​i​h​r​i​c​h​.​mp3

Was ist dran an den Hoff­nun­gen, die vie­le auf die A 143 set­zen? Was kann die geplan­te Auto­bahn tat­säch­lich zur Lösung von Ver­kehrs­pro­ble­men und vor allem auch für die ange­streb­te Ent­las­tung der Stadt Hal­le leis­ten? Die­se Fra­gen beant­wor­tet nun aus ver­kehrs­wis­sen­schaft­li­cher Sicht ein neu­es Gut­ach­ten des Dresd­ner Ver­kehrs­pla­nungs­bü­ros Stadt – Ver­kehr – Umwelt (SVU). Im Dezem­ber wird das Gut­ach­ten von der Auf­trag­ge­be­rin, der Land­tags­frak­ti­on B90/​Die Grü­nen, öffent­lich vor­ge­stellt. Für ihre Bericht­erstat­tung durf­te die „Hal­le­sche Stö­rung“ vor­ab in das Gut­ach­ten Ein­sicht neh­men. Um die Not­wen­dig­keit einer neu­en Auto­bahn-West­um­fah­rung von Hal­le zu beur­tei­len, nimmt das Gut­ach­ten eine Bestands– und Kon­flikt­ana­ly­se des bestehen­den Ver­kehrs­net­zes vor. Dafür wer­den zunächst die über­re­gio­na­len Ver­kehrs­strö­me betrach­tet, wel­che poten­ti­ell die neue A 143 nut­zen könnten.

Kapa­zi­tä­ten sind ausreichend

Ergeb­nis die­ser Ana­ly­se: Für sämt­li­che poten­ti­ell rele­van­ten Ver­kehrs­strö­me sind schon jetzt aus­rei­chend leis­tungs­fä­hi­ge Fern­stra­ßen­ver­bin­dun­gen vor­han­den. Die­se lau­fen fast aus­schließ­lich über Auto­bah­nen, nur in gerin­gem Maße ist die Nut­zung gut aus­ge­bau­ter Bun­des­stra­ßen erfor­der­lich. Ins­be­son­de­re die bestehen­de öst­li­che Umfah­rung der Stadt Hal­le in Nord-Süd-Rich­tung über A 9 und A 14 hat zudem noch erheb­li­che Kapa­zi­täts­re­ser­ven. Aus dem über­re­gio­na­len Ver­kehrs­netz lässt sich daher kei­ne Not­wen­dig­keit für den Bau einer West­um­fah­rung Hal­le ablei­ten. Ähn­li­ches gilt für die regio­na­len Ver­kehrs­strö­me zwi­schen Hal­le und Kön­nern: Auf­grund der Sied­lungs­struk­tur ist in die­sem Raum die Ver­kehrs­nach­fra­ge aus­ge­spro­chen gering. Der gerin­ge Bedarf zur Que­rung der Saa­le kann in die­sem Raum pro­blem­los durch die vor­han­de­nen Fäh­ren abge­deckt wer­den, eine zusätz­li­che Saa­le­brü­cke ist nicht erfor­der­lich. Für die Stadt Hal­le selbst haben dage­gen die Mög­lich­kei­ten zur Que­rung der Saa­le eine hohe Bedeu­tung. Der inner­städ­ti­sche Aus­tausch erfolgt im wesent­li­chen über die Brü­cke im Zuge der B 80 (Hoch­stra­ße) sowie über die Gie­bi­chen­stein­brü­cke. Auf bei­den Ver­bin­dun­gen kon­sta­tiert das Gut­ach­ten hohe Ver­kehrs­be­las­tun­gen und dar­aus resul­tie­ren­de städ­te­bau­lich-räum­li­che Konflikte.

Kei­ne Ent­las­tung für Brücken

Die Auto­bahn­pla­nung erhofft sich eine spür­ba­re Ent­las­tung die­ser Saa­le­brü­cken durch Ver­la­ge­rung des Durch­gangs­ver­kehrs auf die A 143. Der Haken dabei:  auf die­sen Saa­le­brü­cken fließt fast aus­schließ­lich städ­ti­scher Bin­nen­ver­kehr, der nicht auf eine stadt­fer­ne Auto­bahn ver­la­gert wer­den kann. Wie das SVU-Gut­ach­ten anhand der dif­fe­ren­zier­ten hal­le­schen Ver­kehrs­zäh­lung aus dem Jahr 2009 auf­zeigt, ist der Anteil an ech­tem Durch­gangs­ver­kehr auf bei­den städ­ti­schen Saa­le­über­gän­gen äußerst gering, näm­lich auf der B80 nur 5,3 %, und auf der Gie­bi­chen­stein­brü­cke sogar nur 2%. Ent­spre­chend gering sind auch die poten­zi­el­len Ent­las­tungs­ef­fek­te durch den Bau der A 143 für die Stadt Hal­le (Saa­le). Da die Kon­flik­te im Bereich der Saa­le­que­run­gen vom inner­städ­ti­schen Ver­kehr ver­ur­sacht wer­den, kön­nen sie auch nur durch städ­ti­sche Lösungs­kon­zep­te ver­rin­gert wer­den. Die A 143 leis­tet dazu kaum einen Beitrag.

Zah­len und Sta­tis­ti­ken anstatt Fantasieprognosen

Des wei­te­ren betrach­tet das Gut­ach­ten die bis­he­ri­ge und die pro­gnos­ti­zier­te Ver­kehrs­ent­wick­lung. Anhand der amt­li­chen Zähl­da­ten von den Auto­bah­nen rings um Hal­le wird auf­ge­zeigt, dass die Ver­keh­re auf die­sen Auto­bah­nen schon seit etli­chen Jah­ren nicht mehr merk­lich anstei­gen und teil­wei­se sogar zurück gehen.

Im kras­sen Gegen­satz dazu sagt die amt­li­che Ver­kehrs­pro­gno­se der Auto­bahn­pla­nung für die Auto­bah­nen rings um Hal­le erheb­li­che Ver­kehrs­zu­nah­men bis zum Jahr 2025 vor­aus. Zusätz­lich geht die Amts­pro­gno­se  zum Teil schon im Bestand von deut­lich über­höh­ten Ver­kehrs­zah­len aus. Die stärks­te Ver­kehrs­zu­nah­me (um über 100%) weist die Amts­pro­gno­se aus­ge­rech­net für den Ver­kehrs­strom aus, der im Fal­le des Neu­baus voll­stän­dig auf die geplan­te A 143 ver­la­gert wer­den soll, näm­lich für den Eck­ver­kehr zwi­schen der A 14 Rich­tung Mag­de­burg und der A 9 Rich­tung Süden. Hier drängt sich der Ein­druck auf, mit den angeb­li­chen Ver­kehrs­zu­wäch­sen wür­den fik­ti­ve Ver­keh­re extra zur Begrün­dung der geplan­ten A 143 konstruiert.

Bei einer rea­lis­ti­schen Betrach­tung der Ver­kehrs­strö­me und der Ver­kehrs­ent­wick­lung besteht laut SVU-Gut­ach­ten für die geplan­te A 143 ein tat­säch­li­cher Bedarf von nur knapp 10.000 Kfz pro Tag , was weni­ger als einem Vier­tel der Amts­pro­gno­se ent­spricht. Ein solch gerin­ger Ver­kehrs­be­darf erfor­dert kei­ne Auto­bahn, zumal für den Groß­teil die­ser Ver­keh­re bereits heu­te aus­rei­chend attrak­ti­ve Ver­bin­dun­gen existieren.

Alter­na­ti­ven zur Auto­bahn A143

Abschlie­ßend unter­brei­tet das Gut­ach­ten eige­ne Lösungs­an­sät­ze zur Ver­kehrs­ent­las­tung der Stadt Hal­le. Wesent­li­che Poten­zia­le zur Lösung der bestehen­den Pro­ble­me und Kon­flik­te im Bereich der bei­den inner­städ­ti­schen Saa­le­que­run­gen sieht das Gut­ach­ten in einer För­de­rung des Umwelt­ver­bun­des (ÖPNV und nicht­mo­to­ri­sier­ter Ver­kehr) und dabei vor allem bei der Stär­kung des Rad­ver­kehrs. Chan­cen dafür erge­ben sich u.a. durch die zuneh­men­de Nut­zung von E‑Bikes, wel­che län­ge­re Weg­stre­cken ermög­licht und zusätz­li­che Nut­zer­krei­se für den Rad­ver­kehr erschließt. Zur Ver­kür­zung von Wege­be­zie­hun­gen für den Fuß- und Rad­ver­kehr schlägt das Gut­ach­ten eine zusätz­li­che Saa­le­que­rung im Bereich des Trotha­er Hafens sowie den Aus­bau wei­te­rer Saa­le­que­run­gen süd­lich der Innen­stadt vor („mitt­le­rer“ Über­gang par­al­lel zur bestehen­den Fern­wär­me­tras­se zwi­schen Hal­le-Neu­stadt und Gesund­brun­nen sowie süd­li­che Ver­bin­dung im Zuge der Bahn­tras­se zwi­schen Hal­le-Süd­stadt und Angersdorf).

Vor allem für den nörd­li­chen Über­gang am Hafen Tro­tha wäre auch eine zusätz­li­che Nut­zung durch den ÖPNV sinn­voll. Ob die­se neue Brü­cke auch für dem Kfz– Ver­kehr nutz­bar gemacht wer­den kann, bedarf einer tie­fe­ren Prü­fung und Pla­nung. Für die Stadt Hal­le kann man aus dem Gut­ach­ten folg­lich das Fazit ent­neh­men: Es gibt durch­aus Chan­cen zur Ver­rin­ge­rung der städ­ti­schen Ver­kehrs­pro­ble­me, ins­be­son­de­re zur Ent­schär­fung der Kon­flik­te im Bereich der Saa­le­que­run­gen. Aber die­se Chan­cen lie­gen NICHT im Neu­bau der Saa­le­tal­au­to­bahn A 143.Sebastian Voigt/​ BI Saa­le­tal

Audio: Erst in der ver­gan­ge­nen Woche hat der sach­sen-anhal­ti­ni­sche Ver­kehrs­mi­nis­ter Tho­mas Webel unter­stri­chen: “Der Bau der soge­nann­ten West­um­fah­rung Hal­le ist von exis­ten­zi­el­ler Bedeu­tung für die Regi­on“ — nun ja! Eine Stu­die zur ver­kehrs­po­li­ti­schen Bedeu­tung der A143, die die Land­tags­frak­ti­on von Bündnios90/​Die Grü­nen in Auf­trag gege­ben wur­de, wider­legt zumin­dest die Behaup­tung der Bedeu­tung für den Ver­kehr. Wir haben mit Diet­mar Weih­rich gespro­chen; er sitzt für Bündnios90/​Die Grü­nen im Land­tag und im Verkehrsausschuss.

Nach­zu­hö­ren auf lokal​.radio​co​rax​.de/​f​u​e​r​-​d​i​e​-​a​1​4​3​-​g​i​b​t​-​e​s​-​k​e​i​n​e​-​v​e​r​k​e​h​r​s​p​o​l​i​t​i​s​c​h​e​n​-​g​r​u​e​nde

Ver­kehrs­stu­die ist ein­deu­tig: Kein Bedarf für die A 143! In sei­nem Blog hat Diet­mar Weih­rich/​ Mit­glied des Landtages/​ Land­tags­frak­ti­on von BÜNDNIS 90/​DIE GRÜNEN die neue Ver­kehrs­stu­die ver­öf­fent­licht und kommentiert:

Das Fazit der im Auf­trag der Land­tags­frak­ti­on von BÜNDNIS 90 /​DIE GRÜNEN erar­bei­te­ten Ver­kehrs­stu­die ist ein­deu­tig: für die A 143 gibt es kei­ner­lei ver­kehrs­po­li­ti­sche Grün­de. Der in bis­he­ri­gen Ver­kehrs­gut­ach­ten für die A 143 pro­gnos­ti­zier­te Anstieg des Ver­kehrs­auf­kom­mens bis zum Jahr 2025 ist viel zu hoch ange­setzt. Höchs­tens ein Vier­tel der 43.500 Kfz wer­den die A 143 pro Tag nut­zen – aber für 10.000 Kfz baut man kei­ne Auto­bahn. Daher besteht aus ver­kehr­li­cher Sicht kein Bedarf für den Bau der A 143.

Seit den frü­hen 90er-Jah­ren wird davon gespro­chen, nörd­lich von Hal­le eine Auto­bahn zu bau­en: die A 143. Doch obwohl kein Bedarf besteht und die Ver­kehrs­ent­las­tung der Stadt Hal­le nur mar­gi­nal ist, wird nach wie vor an die­sem Pro­jekt fest­ge­hal­ten. Hin­zu kommt die Zer­schnei­dung einer ein­ma­li­gen Natur­land­schaft durch das Auto­bahn­pro­jekt, der Por­phyr-Land­schaft nörd­lich von Hal­le, sowie die explo­die­ren­den Kosten.

Die Land­tags­frak­ti­on von BÜNDNIS 90/​DIE GRÜNEN hat­te ein Ver­kehrs­gut­ach­ten bei dem unab­hän­gi­gen Büro „Stadt – Ver­kehr – Umwelt“ (SVU) aus Dres­den in Auf­trag gege­ben, um die Pla­nungs­zah­len für die A 143 zu unter­su­chen. Dabei kom­men die Gut­ach­ter zu dem Ergeb­nis, dass weder die Sied­lungs- und Ver­kehrs­netz­struk­tur, noch die bis­he­ri­ge sta­gnie­ren­de (teil­wei­se sogar rück­läu­fi­ge) Ver­kehrs­ent­wick­lung, noch die rea­lis­ti­sche Abschät­zung des künf­ti­gen Ver­kehrs­auf­kom­mens in der Regi­on Hal­le-Leip­zig den Auto­bahn­neu­bau erfor­der­lich machen.

Hal­le pro­fi­tiert fast gar nicht von der A 143. Dies wur­de in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der falsch dar­ge­stellt. Der heu­ti­ge Durch­gangs­ver­kehr in Hal­le, der dann über die A 143 umge­lei­tet wür­de, ist dafür viel zu gering. Wir müs­sen statt­des­sen jetzt an der inner­städ­ti­schen Ver­kehrs­ent­las­tung arbei­ten. Eine wei­te­re Stär­kung des ÖPNV sowie eine Erhö­hung der Fahr­rad­freund­lich­keit – gera­de mit Blick auf das gro­ße Wachs­tum bei Elek­tro­fahr­rä­dern – sind für mich die Stand­bei­ne einer zukunfts­fes­ten Ver­kehrs­po­li­tik für Halle.

Auch beim The­ma Saa­le­que­rung kommt das Gut­ach­ten zu einem kla­ren Urteil: eine Que­rung über die geplan­te A 143 bringt kei­ne Ent­las­tung für die zwei bereits bestehen­den Saa­le­brü­cken im Stadt­ge­biet, denn auch hier geht es vor allem um inner­städ­ti­schen Verkehr.

Der Bau des nörd­li­chen Teils der A 143 soll nach aktu­el­lem Stand 240 Mio. EUR kos­ten. Viel Geld, dem nur ein gerin­ger Ent­las­tungs­ef­fekt für die Stadt Hal­le gegen­über­steht. Viel Geld, das an ande­rer Stel­le sicher drin­gen­der benö­tigt wird.

Hier gibt es das Gut­ach­ten noch mal zum Nach­le­sen.
Foto: Toter Auto­bahn­an­schluss in Bennstedt/​ Strei­fin­ger Dezem­ber 2013

Bür­ger­initia­ti­ve Saa­le­tal e.V. Gro­ße Klaus­stras­se 11 06108 Halle/​Saale info@bi-saaletal.de