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Bür­ger sol­len bei neu­en Ver­kehrs­vor­ha­ben mitreden/​ Eine Chan­ce die A 143 bei Hal­le end­lich zu beerdigen

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Vie­le Hal­len­se­rin­nen wis­sen es gar nicht: Dem schö­nen Saa­l­etal zwi­schen Hal­le-Tro­tha und Wet­tin droht ein vier­spu­ri­ges Unheil. Seit nun über 20 Jah­ren kämp­fen enga­gierte Bür­ge­rin­nen und der NABU Halle/​Saalkreis gegen das Teil­stück der Auto­bahn 143. Ein Sieg vor Gericht hat die Auto­bahn bis­her ver­hin­dert. In den nächs­ten zwei Jah­ren könn­te sie end­gül­tig beer­digt wer­den. Das Saa­l­etal als Erho­lungs­ge­biet für Hal­len­se­rIn­nen und Lebens­raum geschütz­ter Tie­re und Pflan­zen wäre end­lich geret­tet. Umwelt­schüt­ze­rIn­nen kön­nen beim neu­en Bun­­des-Ver­­kehr­s­­we­ge-Plan mit­re­den und soll­ten ihr Recht nutzen.

Ein biss­chen Plan­wirt­schaft braucht selbst die Markt­wirt­schaft. So wird alle Jahr­zehnte der wei­tere Aus­bau von Stra­ßen, Kanä­len und Schie­nen geplant. Dass führt sicher zu bes­se­ren Ergeb­nis­sen als eine Wild­wuchs von kreuz und quer gebau­ten Trans­port­we­gen. Aber so ganz har­mo­ni­sch geht es dann doch nicht zu. So gilt als Grund­re­gel, dass der Plan nie ein­ge­hal­ten wird. Über­er­fül­lung gibt es so wenig wie Orden.

Statt des­sen gilt der Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan, kurz BVWP, in Fach­krei­sen als gro­ßes „Wün­sch- Dir-Was“ für Poli­ti­ker. Was die sich wün­schen, ist rot und flat­tert im Wind und läßt sich durch­schnei­den. Erra­ten! Ein rotes Band über einer Auto­bahn, einer Brü­cke, einem Kanal oder einer ICE Stre­cke, wel­ches mög­lichst foto­gen vom Minis­ter in fei­er­li­cher Stim­mung durch­ge­schnit­ten wird. Neben allen Miss­er­fol­gen kann der Minis­ter dann als der­je­nige in Erin­ne­rung blei­ben, der immer­hin den Auto­bahn­ab­schnitt XY gebaut hat.

Minis­ter, wün­sch´ dir was!

Das Gan­ze hat natür­lich einen Haken. Es sind näm­lich zu vie­le Minis­ter, Bür­ger­meis­ter und Lan­des­re­gie­run­gen, die sich zu vie­le Pres­ti­ge­vor­ha­ben wün­schen. So vie­le Auto­bah­nen, Brü­cken und Kanä­le wie gewünscht, hat bis­her noch kein BVWP tat­säch­lich errich­tet. Das wis­sen natür­lich alle Betei­lig­ten längst und wün­schen sich daher umso mehr. Wenigs­tens ein biss­chen wird ja am Ende übrig bleiben.

Kraft durch Freu­de, Arbeit durch Autobahnen?

Für Sach­sen Anhalt ist ziem­lich klar, wor­um es geht. Die Stra­ßen­bauer wol­len die Auto­bahn Nr. 14 quer durch das Land bau­en, von Sach­sen nach Nord-Wes­­ten. Ihre Argu­mente sind die alten. Arbeits­plätze wür­den kom­men, über Nacht, einem Wun­der gleich. Woher die kom­men, wird nicht erklärt. Dass der Bau der Auto­bahn so ziem­lich voll­au­to­ma­ti­sch funk­tio­niert, hat jeder schon mal beim Vor­bei­fah­ren gese­hen. Da ste­hen kei­ne tau­send Mann mit Spa­ten mehr. Selbst in den 30er Jah­ren gab es die nicht. Auch damals war die Auto­bahn als Wun­der­waffe gegen die Arbeits­lo­sig­keit vor allem eines: ein Wun­der der Pro­pa­ganda. Aller­dings ein sehr lang­le­bi­ges. Eine neue­re Fata Mor­gana sind die viel geprie­se­nen Indus­trie­an­sied­lun­gen. Die wol­len natür­lich in die mär­ki­sche Pro­vinz, weil es ja sonst nir­gendwo Auto­bahn­an­schlüsse gibt in Deutsch­land oder sonst­wo in Europa.

Die lie­be Planwirtschaft…

… hat schon in der DDR nie so hun­dert­pro­zen­tig funk­tio­niert wie geplant. Beim BVWP ist es nun so, dass die höchs­te pla­nende Behör­de, das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium des Bun­des, seit Jah­ren schon klagt, das vor­han­dene Geld müs­se drin­gend in den Erhalt inves­tiert wer­den. Das ist im Jahr 2013 drin­gen­der denn je. Die letz­ten vier­zig Jah­re wur­de mun­ter gebaut und gebaut, nun muss aber vor allem erhal­ten wer­den. Tau­sende west­deut­sche Auto­bahn­brü­cken aus den 70er Jah­ren sind drin­gend fäl­lig für eine Grund­über­ho­lung. Wie ein Atom­kraft­werk hat auch jede Brü­cke ihre geneh­migte Lauf­zeit. Dann geht es noch ein biss­chen. Aber irgend­wann droht der Ein­sturz. Und das betrifft nicht nur die Brücken.

Maro­de Brü­cken ver­schlin­gen das weni­ge Geld

Wer­ner Reh, Exper­te für den BVWP beim BUND, sagt, wenn nur die fäl­li­gen Brü­cken saniert wer­den, ist für Neu- und Aus­bau kein Geld da. Die aktu­elle Schät­zung der Erhal­tungs­kos­ten zeigt, dass die­ser Topf um fast eine Mil­li­arde Euro pro Jahr auf­ge­stockt wer­den muss. Selbst wenn mehr Geld fließt, muss das in den Erhalt gesteckt werden.

Das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium weiß das natür­lich alles. Aber die Pro­ze­dur ist nun ein­mal so, dass zuerst die Wün­sche aus den Län­dern gesam­melt wer­den. Die wer­den dann in Ber­lin nach mehr und weni­ger wich­ti­gen und völ­lig über­flüs­si­gen geord­net. Nur die ganz oben auf der Lis­te ste­hen, haben über­haupt eine Chan­ce, gebaut zu wer­den. Um deut­li­cher zwi­schen Über­schuss und den weni­gen wich­ti­gen Pro­jek­ten zu unter­schei­den, will das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium eine neue Kate­go­rie „Vor­dring­li­cher Bedarf plus“ ein­füh­ren: Pro­jekte, die Eng­pässe im Auto­bahn­netz besei­ti­gen und kei­ne hohen Umwelt­ri­si­ken haben. Solan­ge aber kein Geld für die Brü­cken­sa­nie­rung da ist, steht die Fra­ge offen im Raum, ob über­haupt irgend­et­was gebaut wer­den kann.

Wer ist die Melk­kuh der Nati­on, der Auto­fah­rer oder die Autofahrerin?

Eine Lösung scheint sich anzu­bie­ten, die Auto­bahn­maut für alle. Damit ist der Minis­ter Ram­sauer aber bis­her auf äußerst tau­be Ohren gesto­ßen. Näm­lich auf die Ohren eben der deut­schen Auto­lobby, die das Minis­te­rium seit sei­nem bestehen bedient. Und da ist man sich ganz sicher, der deut­sche Auto­fah­rer zahlt eh schon zu viel, und bestimmt zahlt er kei­ne Maut. Für den Umwelt­schutz ist das eine ambi­va­lente Sache. Einer­seits gibt es unzäh­lige Stu­dien, die zei­gen, dass jeder Auto­ki­lo­me­ter hoch-sub­­­ven­­tio­­niert wird. Mit­nich­ten ist der Auto­fah­rer die Melk­kuh der Nati­on, wie BILD immer wie­der behaup­tet. Eine Kilo­me­ter­ab­hän­gige Maut, oder höhe­re Steu­er wäre nicht nur umwelt­freund­lich son­dern auch gerech­ter. Wer wenig fährt soll auch weni­ger zah­len als Viel­fah­rer. Auf der ande­ren Sei­te, kön­nen sich die Umwelt­schüt­zer nun ein Mal zurück­leh­nen und lachen. Der ADAC strei­tet gegen das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium, die Auto­­bahn-Lob­by will die Auto­fah­re­rIn­nen mel­ken. Was immer­hin sehr sicher kommt, ist die LKW Maut auf allen Stra­ßen. Das ist gut, denn dann gibt es weni­ger LKW Fahr­ten und vor allem kein Aus­wei­chen auf die Landstraßen.

Gute Aus­sich­ten für den Kammmolch..

Es bleibt also dabei. Für neue Auto­bah­nen ist kein Geld da. Und für die Alb­träume vom „Ver­band zur Hebung der Elbe- und Saa­le­schiff­fahrt“ auch nicht. Denn dass ein Elbe­aus­bau für das EU- Norm Super-Schiff, oder eine Begra­di­gung und Beto­nie­rung der Saa­le die vie­len Mil­lio­nen wie­der rein­holt durch ein Wirt­schafts­wun­der aus­ge­rech­net in Sach­­sen-Anhalt… Ja, man muss es halt glau­ben. Doch zum Trotz aller Gefäl­lig­keits­stu­dien und Abend­emp­fän­gen der Ber­li­ner Sach­­sen- Anhalt Bot­schaft, im Ver­kehrs­mi­nis­te­rium scheint es da nicht all zu vie­le Gläu­bige zu geben. Die geschütz­ten Arten im Saa­l­etal, zum Bei­spiel der Kamm­molch, kön­nen also vor­sich­tig Hoff­nung schöpfen.

Der letz­te Trumpf, die pri­vate Autobahn

Es droht frei­lich noch eine letz­te Gefahr, die pri­vate Auto­bahn. So ist ein Weg­stück der Auto­bahn 1 schon pri­va­ti­siert und die A 7 soll bald ver­kauft wer­den. Wenn sich das Modell durch­setzt, wäre tat­säch­lich wie­der etwas Geld übrig. Aller­dings spricht eini­ges dage­gen. So zeigt sich schon an der A 1, dass pri­vate Inves­to­ren genau­so unger­ne in War­tungs­ar­bei­ten inves­tie­ren wie der Staat. Die Auto­bahn ver­fällt mun­ter wei­ter. Dass der ADAC das akzep­tiert ist nicht zu erwar­ten. Die Deut­schen wer­den nicht zulas­sen, dass ihre Auto­bah­nen pri­vat wer­den, wo sich schon beim Was­ser und bei den Stadt­wer­ken zeigt, wie sehr das meis­tens nach hin­ten losgeht.

Offen­sive für das Saa­l­etal bis Sep­tem­ber 2013

Es lohnt sich, für Umwelt­schüt­zer und Anwoh­ner, die ein­fach nur ihr Häus­chen ret­ten wol­len, sich jetzt in die Auf­stel­lung des neu­en BVWP ein­zu­brin­gen. Die BVWP-Pro­­jek­te sol­len bis Sep­tem­ber von den Bun­des­län­dern ein­ge­reicht sein. Dann wer­den die Anmel­dun­gen „kon­so­li­diert“ nach Nut­zen/­Kos­ten-Ver­hält­nis­sen, Umwelt­ri­siko und städ­te­bau­li­chen Aspek­ten bewer­tet. Der gesam­te Pro­zess wird sich wohl bis Anfang 2016 hin­zie­hen. Man soll­te sich auch früh betei­li­gen, um zu sagen, wel­che Pro­jekte man für über­flüs­sig oder unver­tret­bar hält. Nach der Kon­zep­tion für die Öffent­lich­keits­be­tei­li­gung für den neu­en BVWP kön­nen nun auch Umwelt­schutz­ver­bände und Bür­ger­initia­ti­ven Vor­schläge ein­rei­chen. Also heißt es jetzt: kon­krete Alter­na­ti­ven ein­for­dern, wie das für die Auto­bahn ein­ge­plante Geld sinn­vol­ler im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan ein­ge­setzt wer­den kann. Das kann hel­fen, den Groß­pro­jek­ten eine mög­lichst nied­rige Prio­ri­tät zu ver­schaf­fen. Das heißt, sie kön­nen früh zu den Akten gelegt wer­den. Das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­rium for­dert ja selbst ein und setzt Erhalt vor Neu­bau, und Aus­bau vor Neu­bau (ins­be­son­dere wenn Umwelt­kon­flikte vor­lie­gen wie beim Saaletal).

Ob in Erhalt statt Neu­bau, Aus­bau statt Neu­bau, in Schie­ne oder Stra­ße inves­tiert wird, spielt für die Bau­in­dus­trie und die Arbeits­plätze dort letzt­lich kei­ne Rol­le. Erhal­tungs­in­ves­ti­tio­nen schaf­fen sogar mehr Arbeits­plätze als Neu­bau. Im Grun­de könn­ten aber auch Fahr­rad­wege gebaut wer­den, oder Stra­ßen umge­baut, so dass Fuß­gän­ger und Rad­fah­rer sich wohl und sicher füh­len. Auch auf­wän­dige Schall­schutz­wände an der Hoch­straße oder Zug-Tras­­sen sind eine gute Möglichkeit.

Die Vor­schläge soll­ten bis zum Som­mer 2013 beim Wirt­schafts­mi­nis­te­rium des Lan­des Sach­sen Anhalt ein­ge­reicht werden.

Wenn es gelingt, die Auto­bahn 143 bis Inkraft­tre­ten des neu­en BWVP 2015 noch zu ver­hin­dern, dann ist sie 2015 wahr­schein­lich – end­lich ! – Geschich­te. Dafür heißt es auch wei­ter spen­den. Der NABU Hal­le freut sich über jeden Euro im Topf für die juris­ti­sche Ver­tei­di­gung des Naturschutzgebietes.

Dr. Con­rad Kunze